Bettina Schürer: Tao Te-King oder die Kunst des bewegungsorientierten Reitens
Bettina unterscheidet sich von allen Ausbildern, die ich bisher kennengelernt habe, nicht in dem, was sie vermittelt – auch sie arbeitet auf Basis der Skala der Ausbildung und orientiert sich an Lehren alter und neuer Reitmeister – sondern in der Art, wie sie es vermittelt. Das hat mich so fasziniert, dass ich den Wunsch habe, so viele ihrer Lehrgänge wie möglich zu besuchen. Nun wohne ich in Schleswig-Holstein, und das ist nicht gerade bei ihr um die Ecke. Ich habe daher nur zwei Möglichkeiten, meinem Wunsch nachzukommen: entweder ich mach mich mit meinem Pony auf die lange Reise zu ihr oder ich organisier ein Seminar bei uns im Norden. Von letzterem möchte ich hier berichten.
Zu Mitte Oktober hatte ich nun schon zum 2. Mal zu einem Seminar mit Bettina eingeladen. Diesmal sollte es ein Dreitäger sein. Neben meinem Mann und mir nehmen noch Gesche mit ihrem Isländer Torfi, Tanja und Susanne mit ihrem Berber Nasrou und ihrer Mérensstute Julie teil.
Schon am Donnerstag waren alle angereist und Mensch und Tier gut untergebracht. Und so kam es, dass Bettina am späteren Abend von all ihren (weiblichen) Kursteilnehmern vom Bahnhof in Aukrug abgeholt wurde, nachdem diese sich vorher im Aukruger Tivoli am guten Essen und der Musik einer Jam-Session erfreut hatten.
Freitag früh um 10:00 ging es dann los mit einer Lagebesprechung. Bettina fragte jeden nach seinen Wünschen, (Reit-)Problemen und Erwartungen. Danach wurde der organisatorische Ablauf geregelt, jedem von uns wurde für vor- und nachmittags jeweils eine Unterrichtseinheit zugeteilt. Auch für die Mittagsverpflegung war schon gesorgt. Gesche hatte eine leckere Kartoffelsuppe vorbereitet und zum Nachzisch selbst gebackene Nussecken - lecker.........
Bei der ersten Unterrichtseinheit gibt Bettina noch keine Anweisungen, sondert lässt sich von uns zeigen, was und wie wir es bisher mit unseren Pferden erarbeitet haben und verschafft sich so einen Eindruck über unsere „Stärken und Schwächen“.
Den Anfang machte Susanne mit ihrem 6-jährigen Nasrou, den sie am ersten Tag erst einmal nur longierte. Susanne bildet ihren Prinzen selbst aus und ist dabei bemüht, nichts falsch zu machen. Sie wünscht sich von Bettina Hilfestellung insbesondere für Situationen, bei denen sie sich selbst unsicher fühlt.
In der Tat ist Susanne bereits beim Longieren sehr vorsichtig und Bettina fordert sie auf, durchaus schon etwas mehr von Nasrou zu fordern.
Für Tanja, die bisher „Englisch“ geritten ist, ist alles neu. Auch sie longiert am ersten Tag erst einmal die Mérensstute Julie. Im Gegensatz zum „statischen“ Longieren, wie Tanja es kennt, entwickelt sich die von Bettina vermittelte Longiermethode aus verschiedenen Führpositionen und der körperlichen Kommunikation zwischen Pferd und Mensch.
Es ist schwierig, dies rein theoretisch zu vermitteln. Daher führt Bettina es mit Julie vor.
Tanja setzt alles für das erste Mal genial um, aber sie fühlt sich wie eine absolute Anfängerin und ach, das Nebenhergehen ist so verdammt anstrengend (zumal der Sandboden etwas schwer ist)………..
Auch Gesche und Gerhard begannen ihren ersten Tag mit Longieren, während ich meine Konikstute vormittags geritten und nachmittags longiert bin. Recht schnell hat Bettina gesehen, dass ich im Sattel die rechte Seite mehr belaste und daher ins Ungleichgewicht komme. Daran hatte ich also im Folgenden zu Arbeiten.
Nachdem alle fertig, die Erkenntnisse des ersten Tages besprochen und die Tiere bestens versorgt waren, trafen wir uns in der Küche zu einem gemeinsamen Abendessen. Danach gingen wir daran, dass Essen für den nächsten Tag vorzubereiten. Es sollte Kürbissuppe geben.
Während wir schnippelten las Bettina uns aus dem Buch „Feines Reiten in der französischen Tradition der Légèreté“ von Jean-Claude Racinet vor. Racinet, der baucheristisch geprägt ist, beschreibt diese Methode bis ins kleinste Detail. Bei der Lektüre haben wir unter anderem nach Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen von der Schule der Légèrté geschaut. Ich muss jedoch zu meiner Schande gestehen, dass ich zum Teil Schwierigkeiten hatte, dem Ganzen zu folgen. Ich glaube aber, dass ich – zu mindestens theoretisch - die Grundidee, die Bettina uns vermitteln möchte verstan-den habe.
Man könnte meinen, dass sie sie unmittelbar dem Tao te King („das klassische Buch vom Sinn und Leben“) entnommen hat. Hier steht unter anderem:
Objektiv, sanft und nachgiebig zu sein, besiegen
die Leidenschaft, Härte und die Grobheit.
Wasser ist fein und nachgiebig. Doch es zerstört
das Harte. Nichts ist mit ihm zu vergleichen,
das Harte zu bezwingen.
Fein und zärtlich bezwingen hart und grob.
(nach einer Übersetzung ins Englische von Wladimir Antonow, Ph.D. (in biology), übersetzt ins Deutsche von Kathrin Laich).
Was bedeutet das nun für die Reiterei? Ich habe Bettina dahingehend verstanden, dass das Ziel ist, die körperlich aktive, oft an Druck gekoppelte, Hilfengebung zunehmend zurückzunehmen, stattdessen die Bewegung des Pferdes aufzunehmen und die Hilfen „passiv“ aus der Vorstellung heraus zu übermitteln. Dies hat nichts mit esoterischer Spinnerei oder Gedankenübertragung zu tun. Ich kenne es aus meinem Gesangsunterricht, dem funktionalen Stimmtraining, das ebenfalls darauf ausgerichtet ist, nicht mit Druck zu singen. Auch hier habe ich Übungen gemacht, bei denen ich mir Aktionen wie z. B. Tauziehen oder andere Aktivitäten nur vorstellen musste, dennoch kommt es im Körper zu den für diese Aktion er-forderlichen „Spannungszuständen“ und Muskelreaktionen. Man nennt dies Antizipation.
Nachdem für die Suppe alles vorbereitet war und wir ordentlich mit theoretischem Wissen gesättigt waren ließen wir den Rest des ersten Tages ruhig und gemütlich ausklingen.
Am nächsten Morgen geht’s um 9:00 weiter. Mit Benjamin, meinem 14 jährigen Reitschüler ist für heute ein weiterer Kursteilnehmer hinzugestoßen.
Wir beginnen mit Übungen aus den Bereichen Tai Chi und Chi Gong, Übungen, die uns Kör-per- und Gleichgewichtsgefühl, Fülle und Leere in Armen und Beinen und Beweglichkeit im Becken vermitteln.
Unterm Sattel fangen dieses mal Gesche und im Anschluss ich an, da wir gegen Mittag das Essen vorbereiten wollen.
Ich bin immer wieder beeindruckt, wie sensibel meine Konikstute auf meine Hilfengebung reagiert, sowohl bei positiven, fein, wie auch bei „grob“ gegebenen Hilfen:
Dank unserer „Trockenübungen“ ist mir erstmals bewusst geworden, dass es nicht damit getan ist, in der Biegung die innere Schulter zurückzunehmen, denn dreht man nur den Oberkörper, kommt es dazu, dass sich das Becken nicht, wie bei der Biegung erforderlich, nach vorne öffnet, sondern nach hinten schiebt und die Pferdebewegung entsprechend blockiert.
Eine Bemerkung von Bettina hat sich unvergesslich bei mir eingeprägt:
„Spüre, wie wenig es braucht!“
Nach mir reitet Susanne. Ihr Problem ist es, dass Nasrou den Kopf zu tief senkt, sich aber unwillig zeigt, wenn sie ihn aufnehmen will.
Bettina gibt ihr den Hinweis, nicht die Zügel zu lang zu lassen, ein zu langer Zügel erschwert ebenfalls eine feine Einwirkung! Susanne beherzigt dies mit allen weiteren Hilfestellungen, die Bettina ihr gibt und Nasrou geht zunehmend zufriedener.
Um ihren Schülern das Gefühl für die Bewegung des Pferdes, aber auch für den eigenen Körper zu vermitteln, setzt Bettina als Hilfsmittel ein kleines Sandsäckchen ein.
Tanja, für die alles neu ist, soll dies an der Longe erspüren. Zunächst soll sie das Säckchen im Takt der Pferdebewegung von einer Hand in die andere werfen.
Zu den weiteren Übungen gehört es, dass das Säckchen auf Kopf, Schultern und den Fußspitzen gelegt wird. Diese Methode stammt aus der organisch-rhythischen Bewegungsschulung von zwei Damen in der CH, welche wiederum auf der Lehre Medau`s (Berlin, Nachkriegszeit) aufgebaut haben. Das Interssante ist, dass man den Effekt des Säckchens auch dann noch spürt, wenn es schon längst heruntergepurzelt ist.
Gerhard und Benjamin reiten ihre Unterrichtseinheiten gemeinsam. Benjamin reitet unseren 28-jährigen Reitponywallach Rocky. Bettina gelingt es, Benjamins Interessen anzusprechen, lässt beide über die Wippe gehen und baut Benjamin einen Slalomkurs aus Signalhütchen.
Film:
http://www.youtube.com/watch?v=6Abf05Op ... e=youtu.beRocky genießt es, sich zu präsentieren und so beendet Bettina Benjamins Unterricht auf der Wippe:
Bettina hat uns aber nicht nur in der Longenarbeit und unter dem Sattel geschult. Manchmal liegt es nicht nur am Menschen, dass ein Pferd nicht entspannt läuft. Auch das Pferd kann Verspannungen und Blockaden, z. B. ausgelöst durch Narben haben. Bettina hat uns daher gezeigt, mit unseren Händen Energiefülle und –leere in Form von Kälte und Wärme am Pferd zu fühlen und führte uns in die Akupunktmassage nach Penzel ein.
Zum Ende des zweiten Kurstags setzen wir uns alle wieder zusammen, um uns über unsere Erfahrungen und Beobachtungen auszutauschen. Alle sind sich darin einig, dass sich Pferd und Reiter positiv verändert haben. Auch Gesche, die mit dem Trab ihres Torfis nicht zufrieden war, ist über seine Entwicklung hoch erfreut.
Diesen Abend beenden wir mit einem gemeinsamen Essen im Aukruger Tivoli.
Die Zeit vergeht viel zu schnell. Am dritten Tag hatte jeder noch einmal Gelegenheit, dass zu vertiefen, was ihm besonders wichtig war.
Tanja nutzte dies, indem sie vormittags Julie an der Longe ritt und nachmittags longierte.
Bettina erklärt uns die Problematik der falschen Kreuzeinwirkung (anspannen des Kreuzes und der Bauchmuskulatur zum Treiben) und zeigt, wie es richtig sein soll.
Wichtig ist es, dass die Beweglichkeit des Beckens nicht blockiert wird. Dies wird dadurch erreicht, dass das Becken nach vorne gekippt und eine Anspannung der Bauchmuskulatur vermieden wird.
Sie legt aber auch schon einmal Hand an, um uns zu lockern.
Leider zeigte meine Konikstute an diesem Tag Taktstörungen. Um sie zu schonen, hat mir Susanne ihre Mérensstute zur Verfügung gestellt.
Auf dem mir völlig unbekannten Pferd kam ich mir plötzlich wieder wie ein Anfänger vor. Mit dem völlig unbegründeten Gefühl, sie ständig vorwärts treiben zu müssen bin ich flux in alte Schemata zurückgefallen, verkrampft, angespanntes Kreuz und viel zu viel Druck.
(Es kam aber auch etwas erschwerend hinzu, dass es Julie immer wieder zu unserer schwarzen Nora hinzog – seltsame Wege der Pferdeliebe…).
Mit ihren Anweisungen, den Rücken fallen zu lassen, Waden ruhiger am Pferd zu halten und Oberschenkel zu lösen half mir Bettina aus meinem Dilemma.
Vielen Dank Susanne und Julie für diese Erfahrung.
Am frühen Nachmittag ging der Kurs, geballt mit Informationen und Erfahrungen zu Ende. Ich möchte mich bei allen für die tolle Stimmung und Atmosphäre bedanken. Vielen Dank auch an Bettina, dass sie uns in diesem Kurs weit mehr als nur Reiten und Longenarbeit vermittelt hat.
Ich habe insbesondere durch den Pferdewechsel gemerkt, dass ich noch viel an mir arbeiten muss.
Für mich steht fest, dass dies nicht der letzte Kurs in Aukrug war. Der nächste Kurs ist schon zum Frühjahr 2014 in Planung.